Freitag, 20. März 2009

Parteiausschlussverfahren gegen Jürgen Walter

Spiegel - Online 20.03.2009

Wie Ypsilanti-Gegner Walter sein Parteibuch retten will

Von Björn Hengst

Zusammen mit drei weiteren Genossen hat SPD-Mann Walter die Wahl von Andrea Ypsilanti zur Regierungschefin in Hessen verhindert. Jetzt muss sich der frühere Abgeordnete vor einer Kommission gegen den drohenden Parteirauswurf wehren.

Hamburg - Sogenannte Parteifreunde haben an ihnen das gesamte politische Schmähvokabular durchdekliniert, das sich in Wörterbüchern finden lässt: Jürgen Walter, Carmen Everts, Dagmar Metzger und Silke Tesch waren demnach "Intriganten", "Dissidenten", "Abtrünnige", "eine Schande", handelten "moralisch verwerflich", "unanständig" und verstießen "gegen Grundprinzipien der Solidarität".

Die vier SPD-Abgeordneten hatten sich im November 2008 einen Tag vor der geplanten Abstimmung geweigert, Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin zu wählen - weil die Spitzenkandidatin entgegen ihres Wahlversprechens mit Hilfe der Linken an die Macht wollte.

Ypsilantis politische Karriere hat sich längst erledigt, ihren Partei- und Fraktionsvorsitz ist sie los, Hessens Ministerpräsident heißt weiter Roland Koch, aber an diesem Freitag werden die Vorgänge des vergangenen Jahres noch einmal großes Thema in der hessischen SPD. Vor der Schiedskommission des SPD-Unterbezirks Wetterau in Nidda wehrt sich Jürgen Walter ab 14 Uhr gegen den Vorwurf, sich mit seinem Nein zur Ypsilanti-Wahl parteischädigend verhalten zu haben.

Walter, seit mehr als 20 Jahren Mitglied bei den Genossen, ehemaliger Landesvorsitzender der Jusos, früherer Landtagsabgeordneter, Ex-Fraktionschef und ehemaliger Geschäftsführer der hessischen SPD soll aus der Partei ausgeschlossen werden. So sehen es mehrere Anträge diverser SPD-Ortsvereine vor. Auch gegen Everts und Tesch laufen entsprechende Verfahren.

25-seitige Argumentation gegen die Vorwürfe aus der Partei

Parteikreisen zufolge wird in Nidda eine bis zu vierstündige Verhandlung erwartet. Auch ein Folgetermin ist demnach denkbar, weil Walter unter anderem Ypsilanti als Zeugin laden möchte. Er will beweisen, dass die damalige Spitze der hessischen SPD schon kurz nach der Landtagswahl den Bruch ihres Wahlversprechens geplant habe. Walter und Ypsilanti waren innerparteiliche Rivalen im Kampf um die Spitzenkandidatur 2008. Ypsilanti setzte sich mit äußerst knapper Mehrheit auf einem Parteitag durch. Auch unter konservativen Parteifreunden Walters kursiert die Theorie, Walter habe diese Niederlage nie verwunden.

Sollte die Schiedskommission das zeitweilige Ruhen von Walters Parteimitgliedschaft oder den Parteiausschluss fordern, würde die Causa an das nächsthöhere Gremium verwiesen: die Schiedskommission des Bezirks Südhessen.

Walter hält die Ausschlussbestrebungen gegen ihn, Tesch und Everts für grotesk. Es säßen jetzt "diejenigen auf der Anklagebank, die sich an das Versprechen der Landes-SPD gehalten haben", sagte der 40-Jährige SPIEGEL ONLINE - und meint damit Ypsilantis Ankündigung im Wahlkampf, in keiner Form mit der Linken zusammenzuarbeiten.

In einem 25-seitigen Papier an die Schiedskommission versuchen Walters Anwälte den Vorwurf zu entkräften, Walter habe parteischädigend gehandelt. Sie kommen in dem Schreiben zu dem Ergebnis, dass Walter "nicht gegen die Grundsätze der SPD verstoßen hat". Aus diesem Grund sei "das Parteiordnungsverfahren aus rechtlichen und aus tatsächlichen Gründen einzustellen", heißt es in dem Papier, das SPIEGEL ONLINE vorliegt. Walters Vorgehen sei durch das freie Abgeordnetenmandat gedeckt, lautet die Argumentation. So seien Parlamentarier gemäß Artikel 38 Absatz 1 Grundgesetz nicht an Aufträge und Weisungen gebunden, "sondern nur ihrem Gewissen unterworfen". Auch im Konfliktfall habe "das freie Mandat und damit die Entscheidungsfreiheit des Abgeordneten Vorrang gegenüber einem Fraktionsbegehren".

"Ich fühle mich als Sozialdemokrat"

Die damalige hessische SPD-Fraktionsführung wäre zudem nicht gezwungen gewesen, die Abstimmung am 4. November 2008 abzusetzen. "Sie hätte durchaus den Versuch unternehmen können, Andrea Ypsilanti auch ohne die Zustimmung der vier Landtagsabgeordneten wählen lassen zu können."

Dem Düsseldorfer Parteienrechtsexperten Sebastian Roßner zufolge ist ein Ausschluss Walters durchaus denkbar. "Dass Walter nicht für Ypsilanti gestimmt hat, wird vermutlich als Verletzung der Solidaritätspflicht gegenüber der Partei ausgelegt werden. Danach ist jedes Mitglied verpflichtet, bei der Verwirklichung der Parteiziele mitzuhelfen", sagte Roßner SPIEGEL ONLINE.

Den Parteistatuten zufolge sind für den Termin in Nidda lediglich Parteimitglieder als Beobachter zugelassen, Walters Anwälte haben allerdings beantragt, die Öffentlichkeit zur Verhandlung im Bürgerhaus zuzulassen. Wegen der "skandalösen und undemokratischen Vorgänge der vergangenen Jahre in der hessischen SPD" bestünden Zweifel daran, "ob ein faires Verfahren durchgeführt wird". Diesem Vorwurf könne die SPD nur "durch möglichst große Transparenz begegnen".

Trotz seines Streits mit führenden hessischen Genossen will Walter in der SPD bleiben. Er bekomme für sein Nein zur Ypsilanti-Wahl auch heute noch zustimmende Briefe von Mitgliedern. Walter sagt: "Ich fühle mich als Sozialdemokrat."

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